Gedanken zum Meisterbrief

Zwang oder Hilfe beim beruflichen Werdegang?
 
Als junger, selbständiger Steinmetzmeister, der ein kleines Unternehmen (2-4 Mitarbeiter) führt, habe ich oft Gespräche über dieses Thema.
 
Davon ausgehend, daß man den Zahlen/Thesen/Schlussfolgerungen sowohl der strikten Gegner als auch der entschiedenen Befürworter vielleicht nicht blind trauen sollte, möchte ich einiges aus meiner individuellen Sicht darlegen.
 
In der Lehre zum Steinmetzen und Bildhauer lernte ich die `duale Ausbildung` kennen. Da kein Betrieb das breite Berufsbild allumfassend lehren kann, werden grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten in den Werkstätten der Handwerksbildungszentren vermittelt. Die immer wichtiger werdende Theorie wird komplett in der Berufsschule gelehrt. Hierbei teile ich die Vorurteile? vieler Kollegen bzgl.  Zeitverschwendung/fehlender Leistungskontrolle/nicht angepasster Lerninhalte/ mangelhafter Terminkoordinierung u.ä. ohne allerdings das duale System gleich abschaffen zu wollen.
 
In meinen Jahren im Ausland konnte ich einiges vergleichen und damit auch begründet bewerten. Gut gefallen hat mir bspw. die sachlich unaufgeregte Art der Schweizer. Dortige Handwerker habe ich als sehr selbstbewusst empfunden und in hohem Maße von der Bevölkerung respektiert. Es zählte nicht, was jemand gelernt, sondern was er drauf hatte. Selbständig machen konnte man sich mit sehr wenig Auflagen. Allerdings hörte ich oft, daß die Leute eine umfassende Vorbereitung speziell auf die Existenzgründung nach deutschem Vorbild (sprich `Meisterschule`) befürworteten und die spärlicheren Möglichkeiten hierzu in der Schweiz bemängelten.
 
Bei meiner Meistervorbereitung in Deutschland habe ich viel gelernt, was mir bei der heutigen Betriebsführung sehr hilft (und natürlich manches, was ich als unnütz empfand). Insgesamt ist die Qualität m.E. sehr von der jeweiligen Klasse abhängig. Wir haben bspw. 2 Dozenten `abgesägt´: Beschwerde bei der Schulleitung wegen schlechter Vorbereitung/Faulheit/fehlenden Engagements und Hinweis auf die hohe Schulgebühr; das Ganze sachlich aber hartnäckig.
 
Mittlerweile bin ich stellv. Obermeister, Mitglied im Gesellenprüfungsausschuss und versuche, möglichst viel von unserem herrlichen Beruf in die Zukunft `hinüberzuretten`.
Vor diesem Hintergrund führe ich einige Punkte für den Meisterbrief  an, die aus meiner Sicht auch für seine Funktion als Zulassungsvoraussetzung sprechen:
 
Die Vorstellung, daß Kunden/Geschäftspartner/Arbeitsuchende davon ausgehen können, daß jeder Handwerksmeister zumindest einmal so viel Energie/Engagement hatte, sich einer staatlichen Prüfung zu stellen und diese bestanden hat, finde ich gut und wichtig
M.E. scheitern viele Gründer an fehlenden betriebswirtschaftlichen Kenntnissen. Was ist so schlimm daran, wenn man von ihnen verlangt, sich einmal intensiv mit diesen Dingen auseinanderzusetzen? Bei der Meisterprüfung fallen nicht hpts. die  `Dummen` durch, sondern regelmäßig die Faulen, die Blender.
M.E. hat man als Gründer eine hohe Verantwortung seinen Mitarbeitern gegenüber. Sie haben schlicht ein Recht darauf, daß der Chef gut vorbereitet auf das harte Berufsleben ist.
Es scheint so zu sein, daß die Insolvenzquote unter Meisterbetrieben deutlich unterdurchschnittlich ist
Es scheint so zu sein, daß die Ausbildungsbereitschaft unter Meisterbetrieben deutlich überdurchschnittlich ist und gute Ausbildung ist unsere Zukunft
Der Meisterbrief bildet einen Vertrauensvorschuß zu deutlich günstigeren Bedingungen als die aus dem Angelsächsischen  in den Markt gedrückte Zertifizierungswut
Die ach so mittelalterliche Idee der Innung ist immerhin verantwortlich für das Solidaritätsprinzip, die allgemeine Sterbekasse u.ä.
Die HO war bereits einige Male abgeschafft in Deutschland. Jeweils nach einigen Jahren wurde sie mit großem Konsens wieder eingeführt. Die völlige Gewerbefreiheit nach der Reichsgründung 1871 bspw. führte rasch zum Gütesiegel `Made in Germany` (nur war das als Warnung für Pfusch gedacht!!!!!)
 
Nun noch ein paar Gedanken zur Praxis:
 
Durch Meister-Bafög und Teilzeitkurse wird die Teilnahme eigentlich jedem möglich.Die Vorstellung einer mafiosen Altmeistergilde, die sich Konkurrenz vom Leibe hält, ist absurd. Bei diesbezüglichen Bedenken spricht man das Thema sachlich an oder macht die Prüfung einen Ort weiter.
Oft wird von der `Handwerks-Lobby` gesprochen. Welche Lobby haben denn , bitteschön, die Handwerksmeister mit ihren meist kleinen Betrieben? Eine Lobby hat, wer Öffentlichkeit hat. Wer hätte je von einer entsprechenden Demo oder konzertierten Aktion gehört.
Für mich ist meine von der örtlichen Kreishandwerkerschaft betreute Innung ein modernes, leistungsfähiges Dienstleistungsunternehmen. Ich erfahre Unterstützung bei Fragen der Finanzierung, Marketing, Arbeitsrecht, Vertragsrecht, Fördermaßnahmen u.ä.
 
 
Insgesamt erlebe ich oft, daß die jeweilige Meinung selten durch Fakten gestützt ist und zwar sowohl bei den `Liberalisierern`, als auch bei den alten Meisterhaudegen. Daß die HO ständig einer Verbesserung/Erneuerung/Modernisierung/Anpassung bedarf ist für mich selbstverständlich und darüber wird in den Gremien auch oft gestritten. Daß es geradezu peinliche Auswüchse bei der Auslegung der HO im Alltag gibt, ist mir auch klar doch sollte man deswegen nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten.
 
Hoffentlich war der lange Text keine Zumutung, moderne Menschen lesen ja nicht mehr ;-)